Christine Sonvilla
Sobald die ersten Sonnenstrahlen die Luft erwärmen, lassen sie sich blicken. Wo?
Bevorzugt auf Baumstämmen, die aus dem Wasser ragen. An der Alten Donau – beim Kaiserwasser zum Beispiel – oder im Wasserpark und natürlich in der Lobau und im Nationalpark Donau-Auen. Gleich ob Mühl- oder Schillerwasser, Dechant- oder Panozzalacke, Blaues Wasser oder wie sie alle heißen, sie alle sind die Heimat der einzigen bei uns heimischen Schildkrötenart, der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis).

Aber Moment mal, diese hier hat doch einen verräterisch markanten Fleck an beiden Seiten des Kopfes? – Ein dickes gelbes Band. Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um eine Gelbbauch-Schmuckschildkröte. Gemeinsam mit Rotwangen-Schmuckschildkröten sind die beiden Arten beliebte Haustiere in unseren Breiten. Zuhause sind sie aber ganz woanders, nämlich in Nordamerika. Wie kommt es dann, dass eine Gelbbauch-Schmuckschildkröte plötzlich durchs Kaiserwasser vor der UNO City schwimmt? Die wahrscheinlichste Antwort: Sie wurde ausgesetzt. Der Grund: Die zunächst putzigen kleinen Schildkröten werden mit der Zeit immer größer und wachsen den Besitzern in puncto Pflege und Platzbedarf über den Kopf. Also werden sie kurzerhand in die Freiheit entlassen. Die denkbar schlechteste Lösung. Aber dazu gleich mehr.

Wer ernsthaft überlegt, sich eine Schildkröte als Haustier zuzulegen, sollte ein paar Punkte bedenken. Die Tiere werden nicht nur größer – was eine Frage des Platzes ist – sondern sie werden auch ganz schön alt, nämlich an die 60 Jahre. Man sollte sich ernsthaft fragen, ob man auch in zehn, 20 oder 40 Jahren bereit ist, für das Tier da zu sein. Schildkröten sind zudem keine Kuscheltiere und haben spezifische Pflege- und Haltungsbedürfnisse. Ist man gewillt, diesen Aufwand zu betreiben? Falls ein Tier dann doch weggegeben werden muss – aus welchen Gründen auch immer – gilt es einen Reptilienzoo oder Fachhandel aufzusuchen, nicht das Kaiserwasser oder die Dechantlacke!

Für das österreichische Tierschutzgesetz zählt das Auslassen von exotischen Schildkröten zur Tierquälerei. Darüber hinaus ist es ein beträchtliches Problem für das heimische Ökosystem.

Geschätzte 1.000 bis 1.500 Individuen der Europäischen Sumpfschildkröte haben in Österreich noch Gelegenheit sich in der Morgensonne aufzuwärmen. Damit gilt die Art als vom Aussterben bedroht. Aber nicht nur ihre Zahl ist bescheiden, auch ihr Lebensraum ist überschaubar. Das einzige fortpflanzungsfähige Vorkommen der Art findet sich an der Donau östlich von Wien. Es erstreckt sich bis zur slowakischen Grenze und liegt zum Großteil im Nationalpark Donau-Auen.

Ein Eindringen von exotischen Schildkröten-Arten stellt deshalb eine große Gefahr für den kleinen Bestand dar. Da es sich bei der Donau-Auen-Population zudem um einen eigenständigen Typ handelt, gefährden auch ausgesetzte Europäische Sumpfschildkröten, die aus einem anderen Gebiet stammen, den ansässigen Donau-Auen-Bestand. Sumpfschildkröten, die in Zoohandlungen erhältlich sind, gehören häufig zu anderen Unterarten, die an unsere Breiten nicht angepasst sind. Paaren sich diese nun mit den heimischen Tieren wirkt sich das negativ auf die spezielle genetische Anpassung an den hiesigen Lebensraum aus. Das Ergebnis: Die Anpassung wird „verwässert“.

Wir werden uns heuer auf jeden Fall noch weiter in den Wiener Gewässern „herumtreiben“. Es gibt noch viel für uns zu tun, etwa dem Reptil des Jahres auf die Schliche zu kommen. Und das ist interessanterweise die Europäische Sumpfschildkröte! Also, wer sachdienliche Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort hat, wir freuen uns über Eure Mithilfe.


Alle Fotos: © WIENER WILDNIS / T. Haider

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